Future meets luxury

Wie ein Raubtier schleicht der Wagen den Las Vegas Strip entlang, die illuminierten Kugelräder rotieren gleichmässig, das von Neonlichtern eingehüllte, turbulente Nachtleben spiegelt sich auf der Oberfläche des Wagens wider. Gemächlich, ja bedächtig, tastet sich das Auto durch die grossen Hotelanlagen und noch grösseren Spielhallen, sein LED-Farbenspiel aus Blau und Lila fügt sich perfekt ein in die bunte Kulisse der Stadt, die niemals schläft. Passanten bleiben stehen und schauen zweimal, zuerst ungläubig, dann neugierig, was da an ihnen vorbei fährt. Es ist ein Stück Zukunft. Nur der weisse Stern erinnert an einen Mercedes, der Rest des futuristischen Designs des Vision AVTR scheint einem Science-Fiction-Roman entsprungen.

Das kommt nicht von ungefähr. Auf der CES 2020 in Las Vegas lässt Mercedes für die Besucher nicht nur einen Hauch, sondern gleich einen Windzug Zukunft spürbar werden. Zugleich stellen die Autobauer die Frage, was wir in ferner Zeit eigentlich unter dem Begriff „Auto“ verstehen werden. Denn die Konzeptstudie stellt die Mensch-­Maschinen-Interaktion an sich in Frage. Das Auto würde nach dem Verständnis von Mercedes in Zukunft seine Bedeutung als Nutzobjekt zunehmend verlieren und stattdessen stärker zum ­Begleiter des Menschen werden. Mercedes-Chefdesigner ­Gordon Wagener sprach bei der Weltpremiere des AVTR (Advanced ­Vehicle Transformation) in Las Vegas gar von einer Symbiose von Mensch und Auto zu einem neuen Lebewesen. Das mag im ersten Moment eher abschreckend wirken, die Idee dahinter folgt jedoch der Grundidee des Konzeptwagens, nämlich der des Avatars.

„Avatara“ ist Sanskrit, im Hinduismus beschreibt es die Manifestation eines Gottes in einen Menschen oder in ein Tier. Die wenigsten werden das jedoch wissen, die meisten werden Avatar mit dem Hollywood-Film „Avatar“ von 2009 in Verbindung bringen. Der bis 2019 erfolgreichste Film aller Zeiten ist in dem Kontext jedoch mehr als ein geschickt eingesetztes Marketing-Instrument. Die Daimler-Kreativen haben intensiv mit Erfolgsregisseur James Cameron zusammengearbeitet, um die Philosophie des Films, das Leben im Einklang mit der Natur und allen Lebewesen, im AVTR wahr werden zu lassen. Auch die Idee des Avatara spielt eine Rolle. Im Film ist es der Marine-Soldat Jake Sully, der auf dem fremden Planeten Pandora durch eine neuartige Technologie seinen Geist auf den Körper eines Na’vi, eines Einheimischen des Planeten, überträgt, um mit den Planetenbewohnern selbst in Kontakt zu treten. Das Concept Car soll diese Vereinigung in Form von Mensch und Maschine wiederspiegeln.

Ein gefühlvolles Reptil

Kenner des Films mögen einwenden, dass es im Film keine Autos gibt und die Verbindung im Sinne des Avatara zwischen Lebewesen und nicht zwischen Mensch und Maschine stattfindet. Aber sollte man das nicht zu genau sehen und lieber den AVTR und seine futuristischen Ideen für sich sprechen lassen. Aus der Tüftelei von Mercedes und James Cameron ist ein ausserordentlich hübscher Viersitzer entstanden, dessen organische Form extrem flach und sportlich ist und bei der alles nach Zukunft schreit. Der Innenraum mit seinen Glasflügeltüren wirkt wie ein Kokon, der von dem Auto umschlossen wird. Eine markante Linie läuft von der riesigen seitlichen Öffnung in den Innenraum hinein und scheint sich in ewigen Rotationen zu verlieren. Das sogenannte „One Bow”-Design orientiert sich an den geflügelten Echsenwesen, welche die Na’vi im Film Avatar benutzen. Und ja, wenn beide Flügeltüren geöffnet sind, wirkt der AVTR wie eine Flugechse, die sich gerade in die Luft erheben will. Das Echsenmotiv hat es dem Konzept-Team angetan, denn auf dem Rücken des AVTR befinden sich 33 hexagonale Klappen, die wie die Schuppen eines Reptils wirken. Die Mini-Spoiler dienen allerdings nicht nur der Verschönerung, sie können zum einen den Abtrieb des Fahrzeugs verzögern, zum anderen auch ein Stimmungsbild vermitteln. Wenn der Fahrer bremst, leuchten sie beispielsweise rot auf und wenn dieser sich dem Fahrzeug nähert, begrüsst es ihn und stellt die Flügelklappen auf. Als ob ein Haustier die Ohren aufstellt. So entsteht das Gefühl, das Auto würde seinen individuellen Besitzer „erkennen“. Künstliche Intelligenz ist der Schlüsselbegriff für diese Kommuni­kation zwischen Auto und Fahrer.

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